Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde die Spielsucht noch nicht als wirklich schwerwiegende Angelegenheit eingestuft. Mittlerweile hat man andere Erkenntnisse gewonnen und so ist es nicht von der Hand zu weisen, dass ein problematisches Spielverhalten in einigen Fällen zu weiteren problematischen Verhaltensweisen führen kann. Genau aus diesem Grund ist es wichtig, die Spielsucht bzw. Problemspieler richtig zu behandeln und zu umsorgen. Und exakt das soll jetzt auf vollkommen neue Art und Weise passieren – mit Hilfe der sogenannten virtuellen Realität.
Vollkommen neuer Ansatz aus Kanada
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Was nur wenige Menschen wissen: Kanada ist im Bereich der medizinischen Innovationen eines der fortschrittlichsten Länder dieser Erde. Und so verwundert es auch nicht übermäßig, dass dieser vollkommen neue und verrückt klingende Ansatz der Spielsuchtbehandlung aus Kanada stammt. Genauer: Vom 87. Kongress der französisch-kanadischen Wissenschaftlervereinigung Acfas, wo ein Forschungsteam der Universität von Quebec (UQO) mit den Therapieergebnissen seines Feldversuches für Aufsehen sorgen konnte. Hierbei handelt es sich um eine ganz neue Herangehensweise an das Thema, die der Projektleiter Stéphane Bouchard damit begründet, dass der bisherigen Therapie ein sehr wichtiges Element fehle – die Konfrontation mit den möglichen Versuchungen einer Sucht.
Der Ansatz und Gedanke dahinter klingt so einfach wie genial: Sollten sich zum Beispiel Problemspieler in einer Suchteinrichtung befinden und hier an einem Beratungsgespräch teilnehmen, sind diese denkbar weit von der Situation entfernt, welche das Suchtverhalten auslöst. Genau das könnte dank der virtuellen Realität verändert werden, denn diese könnte den Patienten direkt im Therapiezimmer in die Situation versetzen, die in auch im realen Leben an die Automaten oder an einen Spieltisch führen würden.
Genauer Impuls hilft bei der Behandlung
Sowohl die Patienten als auch die behandelnden Mediziner könnten in den Augen der Forscher somit künftig VR-Brillen tragen, welche dann beim Patienten den Besuch eines Spielcasinos simulieren sollen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Wirklich eingehen kann der Patient auf seine Versuchung nicht, immerhin befindet er sich lediglich im Therapiezimmer. Dennoch kann der Mediziner aber eben genau jenen Impuls feststellen, welcher für das Auslösen des kritischen Spielverhaltens verantwortlich ist. Und dementsprechend könnte auch genau hier die Behandlung ansetzen. Ein weiterer Vorteil: Die Umgewöhnung für die Zeit nach der Behandlung ist aus Sicht des Spielers nicht mehr allzu stark, da er die Einflüsse bereits aus der Therapie kennt.
Im Detail handelt es sich bei einer VR-Brille um eine mit einem Computer verbundene Brille, welche jede erdenkliche Umgebung visuell für den Patienten bzw. den Träger der Brille erschaffen kann. Dank der realistischen Darstellung führen derartige Brillen in der Regel dazu, dass dem Gehirn ein „Streich“ gespielt wird und dieses denkt, dass sich der Körper wirklich in der jeweiligen Situation befindet.
Gute Ergebnisse ermöglichen Start in die nächste Testphase
Obwohl zumindest der Ansatz und der Hintergedanke hinter der Therapie logisch erscheinen, räumt Bouchard ein, dass man bisher noch nicht von einer ausreichend hohen Erfolgsquote sprechen könne und die Therapie dementsprechend noch nicht ausgereift sei. Dennoch erklärt der Forscher, dass schätzt, dass die VR-Therapie bei rund 40 bis 60 Prozent der Patienten helfen kann. Da zusätzlich in der Testphase bisher keinerlei negativen Auswirkungen auf die Probanden festgestellt werden konnten, sei es laut Forscher nun Zeit dafür, die nächste Testphase einzuläuten. Bedeutet im Detail: Nach der ersten kleinen Testreihe sollen nun große klinische Tests durchgeführt werden, um die bisher guten Ergebnisse noch einmal zu bestätigen.
Zuspruch für den Gedanken erhält Bouchard auch vom Chefarzt der psychiatrischen Abteilung an der Schweizer Universitätsklinik Waadt, Yasser Khazaal. Dieser erklärte laut Radio Canada mit Blick auf die Veröffentlichung der Testergebnisse: „Es ist nicht allein die virtuelle Realität, welche die Therapie ausmacht, sondern die genaue Anwendungsweise bei den individuellen Patienten. Die Technologie kann sehr nützlich sein, um zu verstehen, was der Patient fühlt und glaubt, während er spielt. Es ist ein Ansatz, der die normale Therapie durchaus ergänzen kann.“
VR als Freund und Feind der Glücksspielbranche?
Ebenfalls unterstützt werden die Einschätzungen des Forscherteams dadurch, dass die VR-Behandlungen in bereits vielen anderen Bereichen erfolgreich erprobt wurden. So hat sich herausgestellt, dass sich selbst starke Phobien durch die Behandlung mittels virtueller Realität gut lösen lassen. Den Patienten wird die Angst in der Behandlung genommen, da unterbewusst klar ist, dass keine Gefahr durch das jeweilige Objekt ausgeht. Obwohl dies in der „echten“ Realität dann anders aussehen kann, stellt der VR-Test eine gute Übung für die Patienten dar, die lernen, dass die Phobie nicht immer zu schlimmen Erlebnissen führen muss.
Dass ausgerechnet die virtuelle Realität jetzt für die Behandlung vom problematischen Spielverhalten eingesetzt wird, ist dennoch ein wenig kurios. Immerhin handelt es sich hierbei gleichzeitig auch um einen Trend, welcher in den kommenden Monaten und Jahren ebenfalls in der Glücksspielbranche für Innovationen sorgen soll. Allerdings: In beiden Fällen scheinen sich die Einsatzgebiete auf jeden Fall als lohnenswert bezeichnen zu lassen. Und so steht einer doppelten Nutzung der virtuellen Realität also nichts im Wege.